15.08.2012

Eis, Erde und Salz

Energiespender und -speicher für Gebäude

Die modernsten Konzepte zur Energiespeicherung und der energetischen Bewältigung jahreszeitlicher Klimaspitzen basieren oft auf einfachen physikalischen Grundprinzipien.

Die Planung der Technischen Gebäudeausrüstung wird seit vielen Jahren stark von Überlegungen beeinflusst, wie der Energieverbrauch gesenkt werden kann und welches das langfristig beste Versorgungskonzept ist. In vielen Fällen ist die Gebäudehülle heute so effizient, dass Gebäude beinah einen ausgeglichenen Energiehaushalt aufweisen – wären da nicht die jahreszeitlichen Klimaspitzen: Im Winter muss Wärme erzeugt, im Sommer Wärme „vernichtet“ werden.

War das größte Problem des Menschen über Jahrhunderte die Wärmeerzeugung, so rückt in den letzten Jahren die Kälteversorgung immer stärker in den Fokus. Könnte man überschüssige Energie problemlos speichern und bei Bedarf nutzen, wäre ein großer Teil unserer Energieprobleme auf einen Schlag gelöst. Im Folgenden soll anhand von drei Projektbeispielen die jüngste Entwicklung dieser Technologien skizziert werden.

Erstes Beispiel ist die 2003 ausgelobte technische Gebäudeplanung des neuen Hörsaalgebäudes für die FH Osnabrück. Ziel des Bauherrn war es, den Primärenergiebezug zu minimieren und mechanische Kälteerzeugungsanlagen weitgehend überflüssig zu machen. Für dieses Projekt entwickelte agn, unsere Muttergesellschaft, das erste eigene Erdluftregister, also eine Anlage, die Luftströme durch das mit 12 Grad Celsius temperierte Erdreich führt und damit für eine Aufheizung im Winter und eine Abkühlung im Sommer sorgen sollte. Grundgedanke dieses Konzeptes war es, die natürlichen geothermischen Energien aus dem Erdreich aufzunehmen und zu nutzen. Die planerische Herausforderung lag darin, die einzelnen Kanalbereiche so auszulegen, dass gleichmäßige Luftgeschwindigkeiten und Luftvolumina generiert werden. Nur so waren die drohenden Probleme mit unerwünschtem Kondensat sicher in den Griff zu bekommen.

Erdluftregister baut man heute aus Beton

Bauliches Hauptproblem war die Abdichtung gegen eindringende Feuchtigkeit. Hier entschied sich agn für eine Kombination aus Betonsammlern und Kunststoffrohren. Aufgabe der Kunststoffrohre war es, für einen guten Wärmeübergang zum Erdreich zu sorgen. Die Betonsammler führten die Luftströme der einzelnen Kunststoffrohre so zusammen, dass eine Reinigung des Gesamtsystems überhaupt erst möglich wurde.

Hörsaalgebäude der FH Osnabrück: Erdregisterrohre unter der Bodenplatte

Das Gebäude ging 2004 wie geplant in Betrieb und erfüllte die Erwartungen in vollem Umfang. Zwei wissenschaftliche, von agn beauftragte und begleitete Arbeiten (je bei der FH Münster und der FH Osnabrück) zielten auf Analyse und Monitoring des laufenden Systems und sollten die geothermischen Gewinne messen. Unter anderem sollte untersucht werden, ob die Auslegung der Anlage sinnvoll gewählt war. Die Antworten waren erstaunlich. Die guten Ergebnisse resultierten nicht aus den geothermischen Gewinnen, sondern gingen überwiegend auf den Speichereffekt des Betons in den Luftsammlern zurück. Die große Speichermasse des Betonbauwerkes dämpfte die Spitzen so stark, dass die geothermischen Effekte der Kunststoffrohre zwar wahrnehmbar waren, aber deutlich in den Hintergrund rückten. Damit war eine erste Erkenntnis gewonnen: Erdluftregister baut man aus Beton.

Das Diagramm zeigt den nutzbaren Effekt des Erdluftregisters. Es wird deutlich, dass die Luft im Sommer effektiv gekühlt und im Winter vorgewärmt wird. Dies geschieht nur auf Grundlage der frei verfügbaren geothermischen Potenziale sowie der Speicherfähigkeit des im Registers verbauten Betons.

Schmelzvorgang bindet Energie

Beim Wettbewerb für das neue Land- und Amtsgericht in Düsseldorf galt alternativen energetischen Versorgungskonzepten von Anfang an eine besondere Beachtung. agn konnte mit einem überzeugenden Gebäudekonzept und einem integrierten Erdluftregister den Wettbewerb für sich entscheiden und erhielt den generalplanerischen Auftrag zur Umsetzung des Gebäudes. Der Einbau eines Erdluftregisters stand damit fest, selbstverständlich aus Beton und in optimierter Abstimmung, – eine Aufgabe, bei der die Vorteile des echten Generalplaners voll zum Tragen kommen. Hier gibt der Techniker mit seinen technischen Zielen (Luftgeschwindigkeiten, Oberflächenbeschaffenheit und Kantenausbildung) die Eigenschaften eines Betonbauwerks vor, ein bei der klassischen Aufgabenteilung eher untypisches Bild. Der Architekt integriert es in sein Bauwerk, um dem Ganzen eine effiziente und gut nutzbare Gesamtstruktur zu geben. Der Tragwerksplaner nimmt das technische Betonbauwerk in seine Statik auf und verringert damit den Gesamtaufwand und die Kosten. Parallel zur Gebäudeentwicklung wurde im Büro das Thema Energiespeicherung immer wieder neu durchdacht, überarbeitet und am Markt beobachtet. Dabei kristallisierte sich ein Kernproblem heraus: Wie speichert man möglichst viel Energie mit geringen Verlusten in möglichst geringem Bauvolumen?

Beeindruckend einfach, in seiner Wirkungsweise aber trotzdem überzeugend, ist der Wechsel des Aggregatzustandes vieler Stoffe. Taut man eine definierte Menge Eis durch Energiezufuhr auf, so hat das entstehende Wasser so lange eine Temperatur von 0 Grad Celsius, bis kein Eis mehr vorhanden ist. Erst danach steigt die Temperatur des geschmolzenen Wassers über 0 Grad Celsius, und eine weitere Energiezufuhr sorgt für steigende Temperaturen. Eine feste Menge Eis benötigt für das komplette Schmelzen zu 0 Grad Celsius kaltem Wasser genauso viel Energie wie die Erhitzung der gleichen Wassermenge von 0 Grad Celsius auf 80 Grad Celsius. Beim Schmelzen und Gefrieren von Wasser wird also Energie aufgenommen oder abgegeben, obwohl sich die Temperatur nicht ändert. Dieser physikalische Grundzusammenhang gilt auch für andere Stoffe. Diese werden unter dem Begriff PCM (Phase Change Material) zusammengefasst. Wachse oder Salzhydrate können chemisch so hergestellt werden, dass der Erstarrungsbzw. Verflüssigungspunkt nicht bei unbehaglichen 0 Grad Celsius liegt, sondern zum Beispiel bei 22 Grad Celsius.

Pilotanwendung für Phase Change Materials

Seit einigen Jahren sind Projekte bekannt, bei denen PCM dezentral in Innenräumen eingesetzt wird, um oberhalb der Schmelztemperatur Energie aufzunehmen und diese wieder abzugeben, sobald die Raumtemperatur erneut unter den Schmelzpunkt fällt. Im Grunde ein bestechend einfaches System. Dessen Schwachpunkt war aber immer die geringe Wirkung bei dezentralen Lösungen. Sobald man größere Mengen der Substanz in den Raum einbringt, ist kein ausreichender Wärmeübergang gegeben, der Wirkungsgrad sinkt. Kleinere Mengen zeigen keine fühlbaren Ergebnisse.

agn hat keine Projekte dieser Art realisiert, sondern ab 2006 intensiv den Gedanken eines zentralen PCM-Speichers verfolgt und bis zu einem Konzept mit Gebrauchsmusterschutz vorangetrieben. Diese Ideen waren in der Planungsphase für das Land- und Amtsgericht soweit gediehen, dass agn dem Bauherrn die Integration eines zentralen PCM-Würfels in das Erdluftregister vorschlagen konnte.

Das Konzept „zentraler PCM-Würfel, integriert in ein Erdluftregister“ löste gleich zwei Fragen: Wie kann der Wärmeübergang verbessert und damit der Wirkungsgrad von PCM erhöht werden? Und wie kann man eine große Menge PCM logistisch sinnvoll und minimal störend unterbringen? Das zentrale PCM hat dank der großen Menge und der trotzdem kompakten Bündelung in eine zerklüftete Installation einen hohen Wirkungsgrad durch einen ausreichenden Wärmeübergang. Der Wärmeeffekt ist außerdem nicht nur physikalisch messbar, sondern aufgrund der jetzt großen aktiven Menge für den Nutzer auch fühl- und erlebbar.

Der Pilotcharakter des Systems brachte praktische Hürden mit sich: Zwar verursachte das PCM Material als solches keine großen Kosten, es stand aber nicht in alltagstauglichen Verpackungseinheiten zur Verfügung, die einen befriedigenden Wärmeübergang zugelassen hätten. Damit war klar, dass die geplante Speichermasse von 13 Tonnen PCM händisch verpackt werden musste und in speziell angeordneten Registern – also einer Anordnung vieler kleiner Module zu einem großen PCM-Würfel – seinen Betrieb übernehmen sollte. Da der Aufwand solcher Vorarbeiten Kosten verursachen würde, die durch die positiven Effekte der Anlage niemals hätten aufgefangen werden können, war das Erdluftregister des Land- und Amtsgerichts ein klassisches Förderprojekt.

Das Innenleben des PCM-Würfels

Erdluftregister:
- Strecke: > 550 m (aneinandergereiht)
- Volumen: circa 3950 m3 umbauter Raum
- Kühlung der Luft um bis zu 16 K
Phase Change Materials (PCM):
- circa 13 t Salz, aufgeteilt in
Einzelmassen von 1,85 kg
- konzentrierte Masse als zentrales Element
- Speicherung: > 500 kWh/Zyklus

Der Projektträger Forschungszentrum Jülich GmbH in Jülich nahm den Gedanken sofort auf und empfahl einen Förderantrag an das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi). Die vier gleichberechtigten Partner – der BLB NRW, die Firma Emco Lingen, das Fraunhofer Institut in Freiburg und agn – stellten den Antrag auf Förderung und erhielten eine Förderzusage inklusive eines anschließenden, dreijährigen Monitorings.

Den Hilfsenergieaufwand minimieren

Der Vorteil einer zentralen Unterbringung des PCM liegt in der Möglichkeit, auch verstreut im Gebäude anfallende Energiemengen, die ansonsten als Abwärme vernichtet werden müssten, gezielt zu speichern und bei Bedarf abzurufen. Für die EDV-Anlagen und die Küchentechnik des Land- und Amtgerichtes wird nahezu dauerhaft Kälte benötigt. Die Erzeugung von Kälte führt immer zwingend zur Vernichtung von Wärme. In diesem Fall wird genau diese Wärme im PCM gespeichert und bei Bedarf abgerufen. Im Sommer dient das Erdluftregister, genau wie das PCM, zur Einlagerung kostengünstiger Nachtkälte. Im Gegensatz zur sonst häufig eingesetzten freien Nachtauskühlung, bei der das komplette Gebäude mit Hilfe von elektrischer Energie mit kalter Nachtluft durchströmt wird, kann PCM die Nachtkälte mit extrem wenig Hilfsenergieaufwand nutzen. Im Winter heizt das Erdluftregister die zuströmende Außenluft vor. Das PCM gibt während des Tages die nachts eingesammelte EDV-Abwärme wieder an das Gebäude ab.

Nach Fertigstellung und Inbetriebnahme 2010 bestätigten und übertrafen die technischen Messungen der sensiblen Speichereffekte des Erdluftregisters zum Beispiel im Sommerbetrieb die Erwartungen. Der erste Betriebssommer war über eine Periode von drei Wochen sehr heiß. Bei Spitzentemperaturen bis circa 37 Grad Celsius kühlte das Erdluftregister bei einem Volumenstrom von 100.000 Kubikmetern die Luft um rund 10 Grad Celsius ab. Dies entspricht einer Kälteleistung von rund 500 Kilowatt. Diese 500-Kilowatt-Kälteleistung musste jetzt nicht mehr mit elektrisch angetriebenen Kältemaschinen erzeugt werden, sondern floss dem Gebäude mit extrem niedrigem Hilfsenergieaufwand nahezu kostenlos zu.

Versorgungskonzept mit Erdluftregister und zentralem PCM-Würfel im sommerlichen Betrieb

 

Wenn klassische Versorgungskonzepte versagen

Dass jedes Projekt einen spezifischen Ansatz für ein intelligentes Energiekonzept fordert, aber auch fördert, zeigt der Vergleich zwischen dem Land- und Amtsgericht Düsseldorf und dem Stadtarchiv Stuttgart in Bad Cannstatt.

Langjährige Erfahrungen im Archivwesen haben zu sehr klaren Vorgaben für die Unterbringung von Archivgut geführt, die in der DIN ISO 11799 zusammengefasst sind. Von zentraler Bedeutung für ein zeitgemäßes Archiv ist die optimale Klimatisierung der verschiedenen Bereiche. So müssen viele mit einer Temperatur von 18 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 55 Prozent betrieben werden. Die Lufttemperatur darf um ± 1 Kelvin schwanken, die Luftfeuchtigkeit um ± 3 Prozent. Diese geringe Schwankungsbreite erfordert nicht nur maschinellen Aufwand, sondern auch erhebliche Energiemengen, genau diese Konstanz einhalten zu können. So gibt es zahlreiche Tage im Jahr, an denen morgens noch geheizt und nachmittags bereits gekühlt werden muss.

Die unkritische Umsetzung dieser Vorgaben in klassische Anlagentechnik hätte einen ausgewachsenen Energiefresser hervorgebracht. Stattdessen erarbeitete agn zunächst auf Basis von umfangreichen Simulationen der Einzelbereiche die Betriebskosten des Projektes nach DIN 18960, ein ausgesprochen umfangreiches Unterfangen. Trotz erheblicher Abstimmungen zwischen Architektur und Technik, hierbei ging es vor allem um die Wärmekapazität und die Feuchtespeicherung der verwendeten Baustoffe, wurde durch das umfangreiche Zahlenwerk der Betriebskostenberechnung klar, dass gerade der zur Einhaltung der Vorgaben notwendige schnelle Wechsel vom Kühlbetrieb zum Heizbetrieb für sehr hohe Betriebskosten sorgen würde.

Die klassischen Versorgungskonzepte versagten bei näherem Betrachten praktisch ausnahmslos: Ein Erdluftregister versprach hier keine Vorteile, da die Klimatisierung des Archivs nahezu komplett im Umluftbetrieb stattfindet. Das heißt, die im Gebäude befindliche Luft wird lediglich umgewälzt und gekühlt bzw. beheizt. Es werden aber nur sehr geringe Außenluftmengen benötigt. Grund dafür ist, dass sich innen im Archiv, gemessen an den großen Volumina des Gebäudes, nur sehr wenige Menschen befinden, die mit frischer Luft versorgt werden müssen – ganz anders als beim Land- und Amtsgericht in Düsseldorf mit seinem regen Publikumsverkehr.

Schemadarstellung des Prinzips Eisspeicher für den Kühl- und den Heizfall

Die weit verbreitete Nutzung geothermischer Energien mit Erdpfählen fiel nach Untersuchung des Untergrundes als Lösung ebenfalls aus, da das unter dem Baufeld lagernde Heilwasser keinesfalls in Berührung mit technischen Anlagen kommen durfte.

Bei detaillierter Analyse der Simulationsergebnisse zeigte sich, dass die größten Energieeinsparpotenziale in den Übergangsjahreszeiten zu erwarten waren. Wenn sich hier Heizen und Kühlen derart verquicken ließen, dass sie sich gegenseitig kompensieren, hätte man das Problem im Griff. Aus dem Bereich der saisonalen Eisspeicher war folgendes Prinzip bekannt: Im Winter entzieht eine Wärmepumpe einem großvolumigen Wasserbehälter Wärme und nutzt diese Wärme zur Beheizung. Der Wärmeentzug bedeutet gleichzeitig, dass das Wasser durchfriert. Wie bereits erläutert, steckt in diesem Phasenübergang – nämlich von flüssig zu fest und umgekehrt – eine sehr große Energiemenge. Genau die Energiemenge, die zur Beheizung des Gebäudes genutzt wird.

Im Archivgebäude Bad Cannstatt wurde dieses Prinzip jetzt auf das kurzfristige Pendeln von Energie umgestellt. Die langen Zeiträume der Speicherung fallen weg und damit der größte Nachteil des saisonalen Speichers.

Der Schnitt durch das Stadtarchiv Bad Cannstatt zeigt die Energieströme im Gebäude.

 

Eisspeicher reduziert Energiekosten um 30 Prozent

Die Hauptbetriebszeiten des Eisspeichers liegen im Frühjahr und Herbst, also in Zeiten, in denen immer wieder Wärme und auch Kälte benutzt bzw. benötigt werden. Im dauerhaften Winterbetrieb gibt es irgendwann eher zu viel Eis, im reinen Sommerbetrieb eher zu wenig. Wollte man diesen Mangel ausgleichen, wäre eine überdimensionierte Anlage, die nicht mehr wirtschaftlich arbeitet, die Konsequenz. Der hier realisierte Eisspeicher ist 400 Kubikmeter groß und liegt im Innenhof des Gebäudeensembles. Drei gasbetriebene Absorberwärmepumpen entziehen diesem Wasserspeicher im Winter zur Beheizung die Wärme. Die Kälte kann zeitgleich oder aber um 2 bis 3 Wochen zeitversetzt als 0-grädiges Wasser entzogen werden. Die Anlage ist jetzt seit zwei Jahren in Betrieb und hat sich sehr gut bewährt. In weiten Teilen des Jahres wird die komplette Energieversorgung, ob Wärme oder Kälte, einzig und allein über die Anlagenkombination aus Eisspeicher und Wärmepumpe realisiert. Die überwiegend aus Redundanzgründen installierten Wärmeerzeugungsanlagen und Kältemaschinen klassischer Bauart werden im Normalbetrieb nur selten benötigt. Das hier umgesetzte Konzept reduziert die Betriebskosten im Vergleich zu einem konventionellen Betrieb um rund 30 Prozent.

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