15.08.2012

Ökobilanz und Materialität

Ökobilanzierung analysiert den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks

Als eine von drei Säulen der Nachhaltigkeit ist die Ökologie wichtiger Bestandteil nachhaltigen Bauens. Um die Auswirkungen eines Gebäudes auf die globale Umwelt begreifbar und messbar zu machen, bedient man sich in der Baupraxis zunehmend der Ökobilanzierung.

Gebäude verursachen über ihren gesamten Lebenszyklus Emissionen, die Luft, Wasser und Boden schädigen können. Vielfältige Umweltprobleme wie globale Erwärmung (Klimawandel), Zerstörung der Ozonschicht, Sommersmog, Wald- und Fischsterben sowie Überdüngung von Böden und Gewässern sind die Folge.

Was ist eine Ökobilanz?

Eine Ökobilanzierung analysiert den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks hinsichtlich seiner emissionsbedingten Umweltwirkungen, angefangen vom Einbringen der Baustoffe über den Gebäudebetrieb und die Instandhaltung bis hin zum Rückbau und zur Verwertung – je nach Nutzungsprofil über einen Zeitraum von bis zu 50 Jahren.

Was umfasst eine Ökobilanz?

Gemäß der Norm ISO 14040-14043 besteht jede Ökobilanz aus drei Teilen: Sachbilanz, Wirkungsbilanz und Auswertung.

In der Sachbilanz der einzelnen Baumaterialien bzw. Energieträger wird ermittelt, welche Stoffströme und Energieumwandlungsprozesse maßgeblich sind. Die Grenzen für die Bilanzierung, die so genannten Abschneidekriterien, werden üblicherweise bei > 1 Prozent der gesamten Masse des Gebäudes oder > 1 Prozent des Primärenergiebedarfs bzw. des Wirkungspotenzials gesetzt.

Die Wirkungsbilanz erfasst die Emissionen der Stoff- und Energieumwandlungsprozesse. Dabei werden die verschiedenen Emissionen zu Gruppen mit gleicher Umweltwirkung zusammengefasst (zum Beispiel Treibhauseffekt).

Eine Auswertung, ausgehend von den Ergebnissen der Wirkungsbilanz, erfolgt nach ISO 14043 durch Ermittlung der fallbezogenen Kernaussagen, deren Bewertung und Ergebnisdarstellung.

Stoffkreislaufanalyse des gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks

Ökobilanz-Variantenvergleich während des Planungsprozesses für das Projekt „Institut für Geowissenschaften“, erstellt mit LEGEP®

Welche Kennwerte gehören dazu?

Die oben genannten Umweltprobleme werden folgenden Indikatoren1 der Wirkungsbilanz zugeordnet:

- Klimawandel Treibhauspotenzial in kg CO2-Äquivalent

- Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht Ozonzerstörungspotenzial in kg R11-Äquivalent

- Sommersmog Ozonbildungspotenzial in kg C2H4-Äquivalent

- Wald- und Fischsterben Versauerungspotenzial in kg SO2-Äquivalent

- Überdüngung Überdüngungspotenzial in kg PO4-Äquivalent.

Zu den Indikatoren der Sachbilanz gehören:

- Ressourcenverbrauch Erdöl, Erdgas, Kohle, Uran. Primärenergieinhalt nicht erneuerbar in MJ (Megajoule)

- Nutzung von Wasser, Wind- und Sonnenenergie. Primärenergieinhalt erneuerbar in MJ (Megajoule)

Woher kommen die Daten?

Die für die Gebäudebewertung notwendigen Kennwerte werden in Form von standardisierten Umweltproduktdeklarationen (EPD) von den Bauproduktherstellern zur Verfügung gestellt oder können über die Datenbank Ökobau.dat des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung (BMVBS) abgerufen werden. Auch mithilfe moderner Software, in der die Ökobilanzdaten auf Basis der Ökobau.dat nach Bauteilen hinterlegt sind, können Gebäude bilanziert werden.

Grundlage für die Berechnung einer Gebäudeökobilanz ist die DIN EN 15978. Die jeweiligen Bauteile werden nach DIN 276 gegliedert und mengenmäßig nach Kostengruppe 300 und 400 erfasst. Für die Bewertung der ökologischen Qualität in einer Zertifizierung (siehe Artikel „Planungsziel Zertifizierung“) werden die Ergebnisse auf ein Jahr und einen Quadratmeter Nettogrundfläche (m2 NGF*a) bezogen.

Welche Vorteile bietet eine Ökobilanz in der Praxis?

Ziel einer Gebäudeökobilanz ist es, die umweltbezogene Qualität eines Gebäudes unter Berücksichtigung seines Nutzungsprofils zu ermitteln, zu bewerten und zu optimieren. Durch die gezielte Auswahl von Baustoffen, beispielsweise aus nachwachsenden Rohstoffen, die Berücksichtigung langlebiger und recyclingfähiger Konstruktionen sowie durch die Entwicklung ortsbezogener Energiekonzepte auf Basis erneuerbarer Energien lässt sich eine Ökobilanz positiv beeinflussen. Variantenvergleiche unterschiedlicher Konstruktionen und Versorgungstechniken für ein Gebäude ermöglichen einen objektiven Vergleich der jeweiligen Umweltauswirkungen.

In einem interdisziplinären Planungsteam aus Architekten und Fachingenieuren erarbeiten wir gemeinsam mit dem Bauherrn Lösungen, die sowohl umweltfreundlich als auch wirtschaftlich sind. So haben wir beim neuen Institut für Geowissenschaften der Universität Münster schon in der Entwurfsphase eine Ökobilanzierung durchgeführt und dabei der Basisvariante eine Greenbuilding-Variante gegenübergestellt. Diese konnten wir im Planungsprozess nicht nur hinsichtlich ihres Ökoprofils, sondern auch bezüglich der Lebenszykluskosten weiter optimieren. Eine material-effiziente Stahlbetonskelettkonstruktion und langlebige Eichenparkettböden waren ebenso Teil dieses Programms wie die Nutzung von Sonnenenergie in Form von Photovoltaik und Solarthermie sowie Fernwärmenutzung mit Kraftwärmekopplung.

Auszug aus dem Rückbaukonzept für das Institut für Geowissenschaften

Schadstofffreiheit und umweltverträglicher Materialkreislauf

Neben den geschilderten Auswirkungen auf die globale Umwelt sind die Risiken für die lokale Umwelt von besonderer Bedeutung für die ökologische Qualität eines Bauwerks: Dabei sind die eingebrachten Materialien das entscheidende Kriterium für die Gesunderhaltung von Mensch, Flora und Fauna sowie den Schutz von Boden, Luft, Grund- und Oberflächenwasser.

In unseren Materialkonzepten vermeiden wir Baustoffe, die organische Lösungsmittel, Weichmacher, Halogene oder andere Schadstoffe enthalten. Dies ist die beste Voraussetzung für gesunde Innenraumluft, was wiederum dem Lüftungsbedarf und damit auch dem Energieverbrauch zugute kommt. Auf Schwermetalle an Dach und Fassade sollte ebenso verzichtet werden wie auf chemischen Holzschutz. Doch nicht nur für die Nutzungsphase spielt die Materialwahl eine Rolle: Eine umweltverträgliche Materialgewinnung und -verarbeitung ist genauso wichtig wie die Demontagefähigkeit, Trennbarkeit und Recyclingfähigkeit der Baustoffe. Beim Einsatz von Holz zum Beispiel geben wir einheimischen, zertifizierten Hölzern den Vorzug gegenüber Tropenhölzern. Und unsere Architekten denken schon vor dem Bau an den Rückbau: So haben wir etwa für das Institut für Geowissenschaften schon in der Entwurfsplanung ein Rückbaukonzept erarbeitet, das die Demontagefähigkeit der Konstruktion (auch bei Instandhaltungsmaßnahmen) und die stoffliche Trennbarkeit sowie die Mengen der anfallenden Wertstoffe berücksichtigt. Umgesetzt wird dies zum Beispiel in einer modularen Bauweise und einer instandhaltungsfreundlichen, leicht demontierbaren, vorgehängten Fassade.

Die richtige Materialwahl nicht nur unter ästhetischen und funktionalen Gesichtspunkten, sondern auch unter ökologischen Aspekten gehört für uns zu den Grunddisziplinen der Architektur, denn Architektur ist Materialwerdung! Deshalb unterstützt agn die Materialbibliothek der msa | muenster school of architecture als Sponsor.

1Siehe dazu die Begriffsklärung im Glossar

Glossar

Als Treibhauspotenzial wird der Beitrag eines Stoffes zur Erwärmung der bodennahen Luftschichten, das heißt zum sogenannten Treibhauseffekt, bezeichnet. Das Treibhauspotenzial fasst Gase im Verhältnis zur Wirksamkeit von Kohlendioxid (CO2) zusammen. CO2-intensive Stoffe sind fossile Energieträger für den Gebäudebetrieb, aber zum Beispiel auch Baustoffe auf Basis von Zement.

Das Ozonschichtabbaupotenzial fasst die Wirkung verschiedener ozonzerstörender Gase zusammen. Die Erhaltung der stratosphärischen Ozonschicht ist für das Leben auf der Erde sehr bedeutsam, da sie einen großen Teil der UV-Strahlung abschirmt und damit nicht nur eine zu starke Erwärmung der Erdoberfläche verhindert, sondern auch Lebewesen gegenüber aggressiver UV-Strahlung schützt. Als Bezugsgröße wird Trichlorfluormethan (kg R11-Äquivalent) genutzt. Dieser Kennwert der Ökobilanz kann zum Beispiel durch den Verzicht auf halogenhaltige Kältemittel in Kühlanlagen positiv beeinflusst werden.

Als Ozonbildungspotenzial wird die Bildung von bodennahem Ozon durch schädliche Spurengase, wie zum Beispiel Stickoxide und Kohlenwasserstoff in Verbindung mit UV-Strahlung, bezeichnet. Die Verunreinigung der bodennahen Luft ist auch als Sommersmog bekannt. Die Bezugsgröße ist Ethen (kg C2H4-Äquivalent). Ein hohes Ozonbildungspotenzial entsteht zum Beispiel durch das Verbrennen fossiler Energieträger im Gebäudebetrieb.

Das Versauerungspotenzial weist die Wirkung von Luftschadstoffen wie Schwefel- und Salpetersäure aus, die mit Wasser reagieren und als „saurer Regen“ Boden und Gewässer schädigen. Nicht nur Wald- und Fischsterben sind die Folge von sauren Niederschlägen, sondern auch Schäden an Gebäuden (vor allem an historischer Bausubstanz). Als Bezugsgröße wird Schwefeldioxid (kg SO2-Äquivalent) genannt. Es entsteht vor allem bei der Verbrennung von schwefelhaltiger Kohle und von Heizöl sowie bei der Zementherstellung.

Als Überdüngung wird der Übergang von nährstoffarmen Gewässern und Böden in einen nährstoffreichen Zustand bezeichnet, verursacht vor allem durch die Zufuhr von Phosphor- und Stickstoffverbindungen (kg PO4-Äquivalent). Ein hohes Überdüngungspotenzial geht zum Beispiel von Gipsbaustoffen aus, da bei der Deponierung in der Entsorgungsphase die enthaltenen Sulfate in den Boden gelangen.

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